Beigegeben ein Gutachten von Nicholas Turner, 10. August 2012 und eine Stellungnahme von Claudio Strinati, der es für möglich hält, dass das hier angebotene Gemälde der Prototyp für die anderen bekannten Versionen Gentileschis sein könnte.
Diese Version von Gentileschis Die Rast auf der Flucht nach Ägypten existiert in mehreren Fassungen, wobei jedoch nicht alle eindeutig dem Maler zugeschrieben werden können. In Abwesenheit von Archivdokumentationen sind die Wissenschaftler nur in der Lage, sich auf stilistische Analysen zu stützen, um die Autorschaft und Datierung dieser Werke zu bestätigen. Das Vorhandensein zahlreicher Versionen zeugt von dem anziehenden Charme von Gentileschis Wahl der Ikonographie, insbesondere von der emotionalen Aufladung, die durch die thematische Spannung zwischen dem tief schlafenden Joseph und der Jungfrau, die das Jesuskind stillt, hervorgerufen wird. Hinter diesem Gemälde und allen anderen Versionen steckt ein kraftvolles theologisches Konzept: eine Ausarbeitung des Skeptizismus, den Joseph gegenüber der künftigen Erlösung Christi zeigt, der jedoch durch die Vorrangstellung der mütterlichen Liebe in der Kindheit Christi überwunden wird. Wenn man sich Caravaggios Rast ansieht, wird schnell klar, dass diese Art der Ikonographie vollständig die Erfindung von Gentileschi ist: Im Meisterwerk in der Galleria Doria-Pamphilj ist Joseph tatsächlich wach und sehr aufmerksam dargestellt, während seine Gegenstücke ruhen. Um das vorliegende Werk zu datieren, muss man eine wohl feinere Version aus dem Jahr 1625 berücksichtigen, die früher in der Sammlung des Herzogs von Buckingham war und sich heute im Kunsthistorischen Museum in Wien befindet. Die stilistischen Unterschiede zwischen diesem Werk (das wahrscheinlich von Gentileschi selbst während seines Aufenthalts in Paris an den Herzog geschickt wurde) und unserer Version setzen einen terminus ante quem für letztere. Zur Unterstützung einer festen Zuschreibung genügt es, stilistische Vergleiche mit der Version im Louvre zu ziehen, die 1671 vom Banker Jabach an König Ludwig XIV. verkauft wurde, und einer anderen im Museum von Birmingham, die beide dem Künstler zugeschrieben werden. Letztere, die als einzige das Eselchen zeigt, wird allgemein als das Prototyp für eine große Anzahl von Versionen angesehen, von denen die meisten von der Werkstatt des Malers stammen. Die dunkle Farbpalette und die Ausführung des vorliegenden Gemäldes könnten auf eine reifere Phase im Künstlerleben hindeuten und somit nahe am Prototyp liegen. Zudem weisen bestimmte stilistische Ähnlichkeiten, wie die dichte Anwendung von Pinselstrichen und die Vereinfachung geometrischer Formen, sowohl im Prototyp als auch im vorliegenden Gemälde auf. Dennoch gibt es einige auffällige Unterschiede zwischen diesen beiden Versionen, insbesondere der prunkvolle und groß angelegte Ton des Prototyps im Gegensatz zur Strenge von unserer Version, was bei Wissenschaftlern zu einiger Unsicherheit geführt hat. Um zu erklären, wie ein Werk wie das hier angebotene neben den prunkvollen Versionen aus Gentileschis reiferer Phase (Wien, Louvre und Birmingham) entstehen konnte, muss man Gentileschis Versuch berücksichtigen, seine künstlerische Tätigkeit in England für kommerzielle Zwecke mit Unterstützung seiner beiden Söhne, Giulio und Francesco, auszubauen. Es ist durchaus plausibel, dass die beiden Söhne als Kunstberater des Herzogs von Buckingham tätig waren und damit beauftragt wurden, Kunstwerke aus Italien nach England zu beschaffen, die den Anforderungen des Mäzens entsprachen. In diesem wahrscheinlichen Szenario könnten die Brüder Werke aus Gentileschis italienischer Werkstatt nach England gebracht haben, die entweder unvollständig waren oder von seinen Assistenten stammten, um sie auf dem englischen Markt zu verkaufen. In diesem Zusammenhang ist es vernünftig anzunehmen, dass das Gemälde hier zu einer Gruppe von Werken gehörte, die in einem frühen Stadium von Gentileschis Karriere entstanden, aber zu einem späteren Zeitpunkt von seinen Söhnen verkauft wurden. Es passt tatsächlich besser zu Gentileschis früheren Werken als zu denen, die in seiner reifen Phase ab den 1620er Jahren entstanden, wie man an den Figuren von der Jungfrau und Joseph erkennen kann, die eng mit Orazios früheren Gemälden wie der Heiligen Familie in der Galerie der Cassa di Risparmio in Pisa verwandt sind.
Provenienz:
Kunsthandel, Rom.
Privatsammlung, Österreich.
Literatur:
R. Vodret and G. Leone, Caravaggio en Cuba, Ausstellungskatalog, Kuba, Havanna 2011, S. 100 - 103, Kat. Nr. 9.
C. Strinati in: Lights and Shadows, Caravaggism in Europe, Ausstellungskatalog, kuratiert von M. di Martino and V.
Rossi, Lampronti Gallery London, Rom 2015, Kat. Nr. 9, S. 32-35.
Vgl. Benedict Nicolson, Luisa Vertova, Caravaggism in Europe, Bd. I, Turin 1990, S. 113.
Vgl. Benedict Nicolson, The International Caravaggesque movement, Oxford 1979, S. 52.
Vgl. Raymond Ward Bissell, Orazio Gentileschi, University Park u.a. 1981.
Vgl. Hermann Voss, Orazio Gentileschi. Four versions of his „Rest on the Flight into Egypt“, The connoisseur, November 1959, S. 163-165.
Vgl. Orazio and Artemisia Gentileschi, Ausstellungskatalog, Metropolitan Museum of Art, New York, 14. Februar 2002-12. Mai 2002, Museo Nazionale del Palazzo di Venezia, Rom, 20. Oktober 2001-20. Januar 2002, Saint Louis Art Museum, Saint Louis, MO, 15. Juni 2002-15. September 2002, hrsg. v. Keith Christiansen und Judith Walker Mann, New Haven u. a. 2001. (1421001)
Orazio Gentileschi,
1563 – 1639
THE REST ON THE FLIGHT INTO EGYPT
Oil on canvas.
148 x 267 cm.
Attached is an expert’s report by Nicholas Turner, 10 August 2012, and a statement by Claudio Strinati, who considers it possible that the painting on offer for sale in this lot could be the prototype for Gentileschi’s other known versions.
There are several versions of Gentileschi’s Rest on the Flight into Egypt, although not all of them can be clearly attributed to the painter. In the absence of archival sources, scholars can only rely on stylistic analyses to confirm the authorship and dating of these works. To date the painting on offer for sale in this lot, a finer version dating to 1625 must be considered. It was formerly held in the collection of the Duke of Buckingham and is now located at the Kunsthistorisches Museum in Vienna. The stylistic differences between this painting, which was probably sent to the Duke by Gentileschi himself during his stay in Paris, and the present version set a “terminus ante quem” for the latter. To support a firm attribution, it is sufficient to draw stylistic comparisons with the version held at the Louvre, sold by the banker Jabach[AU1] to King Louis XIV in 1671, and another held at the Museum of Birmingham, both attributed to the artist. The latter, which shows a donkey, is generally considered to be the prototype for many versions, most of which originating from the painter’s workshop. To explain how a work such as the one offered here could have been created alongside the lavish versions from Gentileschi’s more mature period (Vienna, Louvre, and Birmingham), it must be considered that Gentileschi’s attempted to expand his artistic activity in England for commercial purposes with the support of his two sons, Giulio, and Francesco. In this context, it is reasonable to assume that the present painting is part of a group of works created at an early stage of Gentileschi’s career but sold later by his sons. It is in fact more in keeping with Gentileschi’s earlier works than with those produced in his mature period from the 1620s onwards, as can be seen in the figures of the Virgin and Joseph, which are closely related to Orazio’s earlier paintings such as the Holy Family in the Gallery of the Cassa di Risparmio in Pisa.
Provenance:
Art trade, Rome.
Private collection, Austria.
Literature:
Rossella Vodret and Giorgio Leone, Caravaggio en Cuba, exhibition catalogue, Cuba, Havana 2011, pp. 100 – 103, cat. no. 9.
Claudio Strinati in: Lights and Shadows, Caravaggism in Europe, exhibition catalogue, curated by M. di Martino and V. Rossi, Lampronti Gallery London, Rome 2015, cat no. 9, pp. 32-35.
cf. Benedict Nicolson, Luisa Vertova, Caravaggism in Europe, vol. I, Turin 1990, p. 113.
cf. Benedict Nicolson, The International Caravaggesque movement, Oxford 1979, p. 52.
cf. Raymond Ward Bissell, Orazio Gentileschi, University Park et al. 1981.
cf. Hermann Voss, Orazio Gentileschi. Four versions of his “Rest on the Flight into Egypt”, The connoisseur, November 1959, pp. 163-165.
cf. Orazio and Artemisia Gentileschi, exhibition catalogue, Museo Nazionale del Palazzo di Venezia, Rome, 20 October 2001 – 20 January 2002, Metropolitan Museum of Art, New York, 14 February 2002 – 12 May 2002, Saint Louis Art Museum, Saint Louis, MO, 15 June 2002 – 2015, Keith Christiansen and Judith Walker Mann (eds.), New Haven et al. 2001.